Wir könnten ja mal...

Berlinale 2016

Es gibt bei der Berlinale ja leider viel zu viele gute Filme, als daß man sie sich alle ansehen könnte.
Also ist jede Entscheidung für einen Film zum einen eine Lotterie (was wird es tatsächlich sein?), zum anderen eine gegen zehn bis zwanzig andere Filme, die zur gleichen Zeit laufen.

Aber ein paar konnten wir doch sehen.


Sufat Chol - Sandsturm
Die Handlung dreht sich weitgehend um die zwei Frauen einer Familie - um zwei Generationen in einem Dorf arabischer Israelis, die noch in der Logik und den religiösen Ritualen der Beduinenstämme leben, denen sie sich zugehörig fühlen. Aber diese religiösen Sitten werden von den jungen Frauen nicht mehr ganz so unwidersprochen und selbstverständlich hingenommen wie noch von der Generation ihrer Eltern - und ihre Kinder werden sie, hoffentlich, noch freier erziehen.

Baden Baden
Eine junge Frau läßt sich treiben im französischen Straßburg, schläft mit ihrem Ex und dem Ex davor und baut ein Bad aus. Die Frau weiß nicht, wo sie hin will, hat kein Konzept für ihr Leben und keinen roten Faden. Und auch der Film weiß nicht, wo er hin will, hat kein Konzept und keinen roten Faden.

War on everyone
Das war sehr schönes Popcornkino. Zwei amerikanische Cops, die sehr stark an die Serienhelden der Siebziger erinnern, sprengen einen Rauschgift- und Kinderpornoring. Abgesehen davon, daß die beiden nicht nur in ihren Methoden in den Siebzigern verhaftet sind, haben sie auch noch alle Accessoires aus der Zeit, alte Autos, Wählscheibentelefone, analoge Fotoapparate, während die Welt um sie herum schon mit Smartphones hantiert. Und es gibt jede Menge Referenzen, auf Tarantino, Men in Black und viele andere Filmklassiker - ein Spaß für die ganze Familie.

Valderama
Der war auch nicht schlecht, er drehte sich um einen jungen Iraner aus der Provinz, der im Teufelskreis von "ohne Papiere bekommst Du keine Papiere" gefangen und deshalb weitgehend rechtlos ist und der sein Heil in der Flucht nach Teheran sucht und der Hoffnung, dort ein neues Leben anfangen zu können und auf irgendeinem Weg auf dem Schwarzmarkt an eine Ausweis zu kommen.

S one strane - Auf der anderen Seite
Zwanzig jahre nach dem jugoslawischen Bürgerkrieg meldet sich der einst verschwundene Ehemann bei einer Frau, die damals nach Kroatien ging und versuchte, sich ein neues Leben aufzubauen. Damals wurden Nachbarn zu Feinden, heute sollen Feinde von damals wieder zu Nachbarn werden...

Girl asleep
Das war ein sehr träumerischer Coming-of-Age-Film, der in seinen Traumsequenzen an Filme wie "Chihiro" erinnerte - ein junges Mädchen, in eine neue Stadt gezogen, damit an eine neue Schule und in ein neues Geflecht von Rangkämpfen, und gleichzeitig das erste Mal diese Anziehung zwischen Jungen und Mädchen erfahrend. Und es gab sehr schöne Bilder, die an Wes Anderson erinnerten.

Cooked - Fire
Michael Pollan hat ein Buch geschrieben über die Grundlagen des Essens, des Kochens und die Entwicklung der Kultur, Alex Gibney hat das verfilmt auf der Grundlage der vier alchemistischen Elemente - Feuer, Erde, Wasser, Luft.

In diesem ersten Teil geht es um das Feuer, die ursprünglichste Art, Fleisch genießbar zu machen, mit Bildern von Aboriginees in Australien, die noch ganz klassisch jagen (wenigstens ab und zu) und von Barbecue-Bräuchen in den USA - wo sich dann auch die ganze Sippe am modernen Lagerfeuer trifft.

Cooked - Air
Im zweiten Teil - Luft - liegt der Fokus auf Brot. Ebenfalls uralt, aber nicht so alt wie das Braten, sondern erst aus der Zeit des Ackerbaus, wird diese simple Technologie der heutigen Fließbandproduktion gegenübergestellt.

Ma revolution
Ein junger Franzose mit tunesischen Wurzeln wird in Paris in den Strudel der Demonstrationen bei dem Umsturz in Tunesien 2012 gezogen. Ursprünglich nur, um ein Mädchen zu beeindrucken, beschäftigt er sich plötzlich mit Politik, mit dem Maghreb und dem Arabsichen Frühling - und das mit dem Effekt, daß auch seine Eltern mehr darüber nachdenken und sich schließlich entscheiden, nach Tunesien zurückzugehen und dort das neue Land mitzuprägen.

San fu tian - Hundstage
Eine Nachtclubtänzerin in der chinesischen Provinz kommt eines Tages nach Hause und stell fest, daß ihr Kerl mit dem gemeinsamen Kind abgehauen ist. Auf der Suche nach beiden findet sie den Liebhaber ihres Freundes, später, in einer anderen Stadt, auch den Typen selber, aber das Kind hat er bereits verkauft. Am Schluß ist sie hin- und hergerissen, ob sie das Kind bei der wohlhabenden Arztfamilie lassen soll, bei der es jetzt ist, oder es trotz ihrer eigenen ungewissen Lage zurückfordern soll.

Le Bal
Ettore Scolas wortloser Film, der fünfzig Jahre französischer Geschichte in einem Tanzlokal nacherzählt, mit stummen Dialogen zwischen Frauen und Männern, getragen weitgehend von der Musik und von Pantomime, ist auch nach dreißig Jahren noch schön.

Zi fan ye mao - Life after life
Das war ein seltsamer, wortkarger, über weite Strecken stummer Film, in dem sehr viel durch eine graue, verstaubte, Industrielandschaft gewandert wurde. Die tote Frau eines Bauern ergreift Besitz von ihrem eigenen Sohn, spricht durch ihn - und niemand hat damit irgendwelche Probleme, so, als passiere das ständig.

Im Nachhinein beeindruckend fand ich die langen Kameraeinstellungen, die bedächtige, fast peinigende Erzählweise und die Abwesenheit jeglicher Musik.

Toz Bezi - Das Putztuch
Zwei Frauen in Istanbul putzen in den reichen Stadtvierteln, schlagen sich selber aber mehr schlecht als recht durchs Leben. Als der Mann der jüngeren Frau sie mit ihrem kleinen Kind sitzenläßt, fährt die langsam in Richtung Depression, kann ihren Strom nicht mehr bezahlen und ihre Miete - und verschwindet irgendwann, das Kind bei ihrer Freundin gut aufgehoben wissend.

Inhebek Hedi
Ein junger Tunesier wird auch mit Mitte zwanzig noch von seiner Mutter und seinem Bruder dirigiert, die alle Entscheidungen für ihn treffen - wo er wohnen, wen er heiraten, wo er arbeiten soll. Aber auf einem Vertreterjob in einem Touristenort lernt er eine Frau kennen, in die er sich (wohl) verliebt - auch wenn das dann plötzlich alles sehr schnell passiert, zu schnell für jemanden, der sonst nie selber sagt, was er will. Diese Begegnung reicht zwar, um sich von seiner Familie etwas zu lösen, aber sie riecht nicht für den letzten Schritt, sich auf die Frau, in die er sich da verliebt hat, auch tatsächlich einzulassen.

 12. - 21.1.2016 - Dirk